Impulsvorträge “Tutorielle Betreuung von Geflüchteten"

Datum: Donnerstag, 16. 5. 2019 17:00-18:00 Uhr

Raum: S103/126



Impulvortrag 1: Tutorielle Begleitung der Schreibförderung in den studienvorbereitenden Kursen für geflüchtete Studieninteressierte – Erfahrungen aus dem Pilotprojekt aus der Lernendenperspektive

Vortragende*r: Anamarija Penzes, TU Darmstadt

Abstract:

Seit 2015 kommen verstärkt Menschen nach Deutschland, um hier Asyl zu suchen. Viele beabsichtigen, ein Studium zu beginnen oder das im Heimatland abgebrochene Studium fortzusetzen. Studien bestätigen (vgl. SVR-Forschungsbericht 2017;  Grüttner et.al. 2018), dass der Erwerb von hohen sprachlichen Kompetenzen in der deutschen Sprache ein zentraler Bedingungsfaktor für die erfolgreiche Integration von Geflüchteten in das Fachstudium und  für den Studienerfolg ist. Insbesondere der Erwerb der Bildungssprache und Fachsprache gewinnen hier an der Bedeutung - doch genau diese bereiten den Studieninteressierten große Schwierigkeiten. In der Unterrichtspraxis ist beispielweise zu beobachten, dass sie intensive Unterstützung benötigen, um komplexe, argumentative Texte sprachlich angemessen zu verfassen, neue Schreibtechniken einzusetzen oder zu lernen, wie sie ihre eigenen Texte überarbeiten können. Auch für die Lehrenden stellt die Vermittlung der Bildungssprache und die Förderung der Schreibkompetenz unter Berücksichtigung der individuellen Unterschiede und Bedarfe der Lernenden eine Herausforderung dar, zumal der Unterricht aufgrund der großen Anzahl an Studieninteressierten in Großgruppen stattfindet. 

Um diesen Herausforderungen entgegenzuwirken und die Lernenden beim Erwerb der schriftsprachlichen Kompetenz bedarfsgerecht zu unterstützen, wurden in den studienvorbereitenden Kursen des Sprachenzentrums Begleittutorien eingerichtet. Im Rahmen des Pilotprojekts wurden die Lernenden in Kleingruppen unterteilt und in den Arbeitsphasen des Unterrichts von Tutor*innen betreut und unterstützt. Sie fungierten für die Fremdsprachenlernenden als sprachliche Vorbilder, gaben ihnen ein unmittelbares Feedback auf die diversen Formulierungsversuche und halfen beim logischen Aufbau der Texte. Die Vorbereitung der Unterrichtsstunde, die Erstellung der Übungsmaterialien und die Supervision des Lernprozesses oblagen den Lehrenden.

Im Rahmen des Vortrags wird über die Perspektive der Lernenden zur Wirksamkeit der Maßnahme für den Erwerb der schriftlichen Textkompetenz berichtet.

Literatur:

Morris-Lange, S. (2017): Allein durch den Hochschuldschungel. Hürden zum Studienerfolg für internationale Studierende und Studierende mit Migrationshintergrund. Berlin: Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH, https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2017/05/SVR_FB_Hochschuldschungel.pdf, 18.01.2019

Grüttner, M., Schröder, S., Berg, J. und Otto, C. (2018): Die Situation von Geflüchteten auf dem Weg ins Studium. Hannover: GZHW, https://www.dzhw.eu/pdf/pub_brief/dzhw_brief_05_2018.pdf, 18.01.2019



Impulsvortrag 2: Vielfalt hat Potential. Die Tutorielle Lehre als Möglichkeit der Steigerung der Lernerfol-ge von Studieninteressierten mit Fluchthintergrund unter Einbeziehung der individuellen Biografien.

Vortragende*r: Derman Aygün, TU Darmstadt

Abstract:

Geflüchtete Studieninteressierte müssen vor einer Studienaufnahme die deutsche Sprache in kurzer Zeit auf einem sehr hohen Niveau lernen, da das Bestehen von Sprachprüfungen eine Prämisse für die Studienaufnahme bildet. Der Erfolg in den letzten Jahren war an der TU Darmstadt niedrig, sodass sich das Sprachenzentrum entschloss durch die Einführung von Tutorien eine individuelle Unterstützung für die Deutschlernenden anzubieten. Zuvor fand der Unterricht ausschließlich in Großgruppen, meist frontal, statt, wodurch es nahezu unmöglich war, auf unterschiedliche und divergente Bildungsbiografien einzugehen. Darüber hinaus wurde in den Kursen mit standardisierten Materialien gearbeitet und gefordert, dass alle Lernenden, unabhängig von ihren heterogenen Ressourcen, diese selbständig bearbeiten. Diese Analyse resultierte in einer Neukonzeption der Deutschkurse unter Einbezug pädagogischer Expertise und dem Einsatz von Tutor*innen. 

Im Rahmen eines Vortrags möchte ich diese Neukonzeption vorstellen, welche einen konstruktiven pädagogischen Umgang mit Heterogenität in der fluchtbezogenen Bildungsarbeit ermöglicht. Das Konzept basiert auf der Kleingruppenarbeit und der Betreuung und Begleitung durch Tutor*innen, wodurch Heterogenität erkannt und lernendenzentriert gearbeitet werden kann. Durch diese individualisierende Didaktik kann verstärkt auf die vielfältigen Bedürfnisse und die un-terschiedlichen Bildungsbiografien der Lernenden eingegangen werden. Im Vortrag richte ich den Fokus auf die Tutor*innen und skizziere, welche fachlichen und methodisch-didaktischen Lehr- und Lernprozesse diese durchlaufen und wie sich durch den intensiven Austausch mit Geflüchteten die eigenen – zum Teil stereotypen – Zuschreibungen wandeln. Diese Veränderungsprozesse wurden im Rahmen eines Fokusgruppeninterviews erhoben und ausgewertet. Zudem veranschauliche ich die bisherigen Erfahrungen der Lehrenden und Lernenden und skizziere, inwiefern sowohl die Qualität der Lehre als auch die Lernerfolge gesteigert wurden. In einem Ausblick werde ich die Transferoptionen für andere Lehr-Lern-Situationen skizzieren.


© Dr. Guido Roessling 2018